Interview:
«Künstliche Intelligenz hat fürs individualisierte Lernen immenses Potential.»

Die PH Graubünden startet eine neue Strategie-Periode. Rektor Reto Givel-Bernhard erklärt, warum eine anspruchsvolle Ausbildung nicht abschreckt, welche Rolle die Künstliche Intelligenz in der Bildung spielen kann, wie die Pädagogische Hochschule dem Lehrpersonenmangel begegnen will und warum es so wichtig ist, gute Mitarbeitende an Bord zu haben.

Die Pädagogische Hochschule Graubünden hat ihre Vision 2036 definiert. Worum geht es im Kern?

Letztlich geht es um hohe Qualität und hinreichende Quantität: Der Kanton Graubünden braucht vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe II hinreichend viele und professionell agierende Lehrpersonen in allen Kantonssprachen. Mit unserem attraktiven Angebot leisten wir an der PH Graubünden dazu einen zentralen Beitrag. Die Qualität der PH von heute zeigt sich an der Qualität der Volksschule von morgen.

Welche Ziele verfolgt die Hochschule in ihrer Strategie 2025-2028?

Lassen Sie mich drei zentrale Punkte herauspicken: Im Projekt «lernen29» wollen wir das Studium stärker aufs Lernen ausrichten, damit die Studierenden noch selbstorganisierter, noch aktivierter und noch berufsrelevanter studieren. Im Bauprojekt bereiten wir in diesem Jahrzehnt zusammen mit dem Kanton einen Erweiterungsbau und die Kernsanierung unseres schutzwürdigen Campus vor; wir benötigen zukunftsfähige Räume, die zeitgemässes Lernen unterstützen. Drittens wollen wir das in den letzten Jahren stark ausgebaute Angebot konsolidieren: die Studierendenzahlen stabilisieren und die Qualität weiterentwickeln.

Der Lehrpersonenmangel ist ein drängendes Problem in der Schweiz. Welche Ansätze verfolgen Sie, um den Bedarf an gut ausgebildeten Lehrpersonen in Graubünden und darüber hinaus zu decken?

Unser Angebot muss gleichzeitig qualitativ anspruchsvoll und für Studierende attraktiv sein. Das widerspricht sich nicht. Ich bin überzeugt, dass eine anspruchsvolle Ausbildung nicht abschreckt, sondern attraktiv ist. Lehrperson ist der vielleicht schönste Beruf der Welt – aber nur wenn man den Beruf beherrscht. Zentral ist: Die Forderung nach mehr Lehrpersonen darf uns nicht dazu verleiten, die Qualität unserer Ausbildung zu senken.

Welche Herausforderungen erwarten die PH Graubünden in den kommenden Jahren?

Eine grosse Herausforderung ist der Fachkräftemangel. Zum Beispiel benötigen wir gute Dozierende, die über ausgiebig Erfahrung an der Volksschule und ein Hochschuldiplom im relevanten Fach verfügen – und darüber hinaus wenn möglich auch in Romanisch oder Italienisch unterrichten können. Das ist nicht einfach. Die Qualität der Pädagogischen Hochschule hängt direkt von der Qualität unserer Mitarbeitenden ab. Deshalb investieren wir intensiv in deren Aus- und Weiterbildung.

Individualisiertes Lernen und neue didaktische Konzepte werden in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Wie werden diese Entwicklungen die Ausbildung der Lehrpersonen verändern?

Die Volksschule ist im 19. Jahrhundert entstanden und war damals nicht unähnlich einer Fabrik organisiert: Jahrgangsklassen, Sitzreihen, Fächer, 45-Minuten-Lektionen und Prüfungen. Vieles davon ist heute überwunden: Ein guter Unterricht fordert und fördert die einzelnen Kinder auf ihrem jeweiligen Niveau. Naturkunde ist auch Mathematik; Mathematik ist auch Sprachunterricht. Die Kinder entdecken spielerisch, konstruieren eigene Wege hin zur Lösung, arbeiten gezielt einzeln, in der Gruppe oder im Plenum. Diese Individualisierung wird weiter zunehmen. Denn lernende Kinder sind aktive Kinder.

Welche Rolle spielt dabei die künstliche Intelligenz?

Künstliche Intelligenz hat fürs individualisierte Lernen immenses Potential. Eine KI lässt sich prompten: Sei mein Coach; erkläre mir folgende Aufgabe; erkläre es mir anders; erkläre es mir langsamer; mache mir eine Übung zu folgendem Lernziel; mach mir eine Probeprüfung zu diesem Kapitel; gib mir stilistische Rückmeldungen! KI darf nicht die Arbeit abnehmen – KI muss den Kompetenzerwerb unterstützen. Und KI ersetzt weder die Lehrperson noch das Lernen in der Gruppe.

Die Strategie betont auch die Bedeutung wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse zur Wirksamkeit der Lehrpersonenbildung. Was bedeutet das konkret?

Die Wissenschaft ist ein zentraler Pfeiler der heutigen Lehrkräftebildung. Beispielsweise ist die Wirkung von konkretem Feedback, von formativen Evaluationen und von einer gesunden Beziehung zwischen Kind und Lehrperson erforscht – und spielt in der Ausbildung eine wesentliche Rolle. Es ist daher nur konsequent, dass wir auch die Wirksamkeit der Lehrkräftebildung wissenschaftlich evaluieren.

Wie möchten Sie die Strategie in Ihrer Rolle als Rektor vorantreiben?

Mir liegt viel an einer guten Hochschulkultur. Wichtig ist, dass die Kompetenzen unserer Mitarbeitenden zum Tragen kommen, dass sich alle Hochschulangehörigen eingeben können und dass unsere Hochschule lebt. Damit wir einen positiven Impact auf die Volksschule der Zukunft und die Gesellschaft als Ganzes haben.

Prof. Dr. Reto Givel-Bernhard ist seit dem 1. November 2024 neuer Rektor der PH Graubünden. Zuvor war er während fünf Jahren Prorektor Ausbildung. Vor seiner Tätigkeit an der Pädagogischen Hochschule Graubünden war der ausgebildete Primarlehrer und promovierte Philosoph in verschiedenen Führungsfunktionen im Bildungs- und Verwaltungsbereich tätig, unter anderem als Leiter Mittelschulen der Bildungsdirektion des Kantons Zürich.

Weichen für die Zukunft: Strategie 2025–2028

Die Pädagogische Hochschule Graubünden stellt mit der Strategie 2025–2028 zentrale Weichen für die Zukunft. Aufbauend auf der Vision 2036 setzt sie folgende Schwerpunkte: die Ausbildung professionell agierender Lehrpersonen, die Förderung der Mehrsprachigkeit, den Umgang mit digitalen Technologien, eine nachhaltige Entwicklung und die Stärkung der Hochschule als attraktive Bildungsinstitution. Damit trägt die Hochschule aktiv zur Qualität und langfristigen Weiterentwicklung der Lehrpersonenbildung bei.

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