Interview zum Jubiläum
«Die Dynamik im Bereich Hochschulentwicklung wird zunehmen»

Rektor Gian-Paolo Curcio über die wichtigsten Meilensteine der PH Graubünden, die Hintergründe des Jubiläumsmottos und die Herausforderungen der Zukunft.

Gian-Paolo Curcio, Sie sind seit 9 Jahren Rektor der PH Graubünden. Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Meilensteine in der 20-jährigen Geschichte der Pädagogischen Hochschule?

Die Lehrerinnen- und Lehrerbildung in Graubünden als tertiären Studiengang anzubieten, um mit der schweizerischen Entwicklung zur Tertiarisierung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung in Einklang zu stehen, war ein bedeutsamer Schritt, der mit weiteren Reformprozessen im Bildungsbereich verbunden war. Weiter denke ich an die innere und äussere Tertiarisierung und die damit verbundene Hochschulentwicklung, den Weg von der Pädagogischen Fachhochschule Graubünden zur Pädagogischen Hochschule als selbständige Anstalt des öffentlichen Rechts. Einen weiteren Meilenstein haben wir im Zeitraum von 2017 bis 2023 erreicht. In dieser Phase positionierte sich die PH Graubünden als institutionell akkreditierte Hochschule mit thematischen Schwerpunkten wie Mehrsprachigkeit, Schule im alpinen Raum oder Bildung im digitalen Wandel.


Vor welchen zukünftigen Herausforderungen steht die Institution?

Zur Bildung von Lehrpersonen an der Pädagogischen Hochschule Graubünden werden auch im Jahr 2035 Bachelor- und Masterstudiengänge, Weiterbildungen und Zusatzausbildungen für Lehrpersonen, Schulleitungen, Schulbehörden und Dozierende, sowie Dienstleistungen angeboten, welche die besonderen Bedürfnisse des Kantons Graubünden – insbesondere die Dreisprachigkeit – und der umliegenden Kantone berücksichtigen. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Dynamik im Bereich der Hochschulentwicklung auf der institutionellen gleichermassen wie auch auf der nationalen Ebene in Bezug auf den Hochschultypus zunehmen wird. Während die Profilierung des Hochschultypus Pädagogische Hochschule bereits heute weitgehend erfolgt ist, wird der Fokus in den nächsten Jahren insbesondere auf die genügend hohe Anzahl kompetent ausgebildeter Lehrpersonen, die Weiterentwicklung der Lehrpersonen im Sinne von Spezialisierungen beziehungsweise Laufbahnoptionen und auf den Erkenntnisgewinn im Bereich Lehr-Lernforschung sowie der Fachdidaktik gelegt werden. Die zunehmende Dynamik führt zu weiter steigenden Anforderungen an die Pädagogischen Hochschulen und ihre Hochschulentwicklung.

Wie werden Sie diesen Anforderungen gerecht?

Damit die Pädagogische Hochschule Graubünden ihren Auftrag und die an sie gestellten Anforderungen als Hochschule erfüllen und ihre strategischen Ziele umsetzen kann, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

1. Eine hohe Autonomie in Bezug auf die Führung, die inhaltliche Gestaltung und die strategische Positionierung der Hochschule,

2. Offenheit gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen und Bedürfnissen seitens der Trägerin und die damit verbundene Bereitschaft, den entsprechenden Herausforderungen mit Bildung und Forschung zu begegnen,

3. ausreichende finanzielle, qualitativ hohe personelle und auf die spezifischen Anforderungen abgestimmte infrastrukturelle Ressourcen.

In Bezug auf die Finanzierung der Pädagogischen Hochschule werden auf der nationalen und kantonalen Ebene vermehrt Steuerungsansprüche wahrgenommen. Mit der anstehenden Teilrevision des kantonalen Gesetzes über Hochschulen und Forschung ist sicherzustellen, dass die Autonomie der Hochschulen und die Zuständigkeiten der einzelnen Akteurinnen und Akteure klarer geregelt werden. So ist eine der zentralen Aufgaben des Hochschulrates, sich für die Wahrung der Autonomie der Hochschule, der Offenheit gegenüber Entwicklungen und für ausreichende Ressourcen einzusetzen. Das ist darum wichtig, weil autonome, offene und mit ausreichenden Ressourcen ausgestattete Hochschulen einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Neben finanziellen und personellen bedarf es auch infrastruktureller Ressourcen, und zwar in genügendem Ausmass an einem für eine Pädagogische Hochschule geeigneten Ort. Die Infrastruktur nimmt für Hochschulen in Bezug auf die Lehre und Forschung in den für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung relevanten Fächern und Bereichen zunehmend eine wichtige Rolle ein.


Das Motto des Jubiläumsjahres lautet «Hochwertige Bildung für alle». Was steckt dahinter?

Der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen kommt eine hohe gesellschaftliche Relevanz zu. Mit ihrer Arbeit prägen sie die Gesellschaft von morgen. Unterrichten ist mehr als nur Vermitteln von Wissen. Lehrpersonen inszenieren Lerngelegenheiten (oppurtunities to learn), in denen der fachliche und überfachliche Kompetenzaufbau gefördert wird, Normen und Werte vermittelt und auf diese Weise die Persönlichkeitsbildung von jungen Menschen unterstützt wird. In diesem Sinne tragen Lehrpersonen wesentlich dazu bei, dass das Ziel der vereinten Nationen einer hochwertigen Bildung für alle (Sustainable Development Goal SDG Nr. 4) erreicht werden kann.

Welche Bedeutung hat eine hochwertige Bildung für die PH Graubünden?

Wir engagieren uns entlang der Ziele der Agenda 2030 der vereinten Nationen und setzen uns unter anderem für eine hochwertige Bildung für alle ein, denn Lehrpersonen prägen unsere künftigen Generationen. Sie bereiten die jungen Menschen auf die Welt von morgen vor, indem sie diese für die sozialen, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen sensibilisieren und ausbilden.

Für die Strategieperiode 2021-2024 wird der Fokus an der PH Graubünden auf die folgenden vier Sustainable Development Goals gelegt:

• Hochwertige Bildung (4)
• Geschlechtergerechtigkeit (5)
• Verantwortungsvollen Konsum und Produktion (12)
• Massnahmen zum Klimaschutz (13)

Diese und weitere Ziele sind Teil unserer Nachhaltigkeitsstrategie. Anhand von konkreten Projekten wie der Unterstützung bei der Hausaufgabenhilfe oder anhand verschiedener Aktivitäten am Hochschultag zeigen wir den angehenden Lehrpersonen mit dem Inside-Out-Ansatz entlang der Sustainable Development Goals auf, wie sie vermeintlich kleine Beiträge zur Bildung einer nachhaltigen Entwicklung leisten können. Dabei sind konkrete Erfahrungen, die Stärkung der individuellen Selbstwirksamkeitswahrnehmung und die Entwicklung einer positiven Haltung gegenüber nachhaltiger Entwicklung zentral.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

An Pädagogischen Hochschulen stehen die Prozesse des Lernens und des Lehrens sowie die damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Entwicklungen im Fokus. Dementsprechend stehen die Menschen im Zentrum, und zwar gleichermassen die Studierenden wie auch die Mitarbeitenden. Die Personalgewinnung und der Personalerhalt haben somit höchste Priorität. Die Gewinnung von Dozierenden in den jeweiligen Fachbereichen, welche über einen Masterabschluss, ein Zielstufendiplom, Kenntnisse in der Hochschuldidaktik sowie in den benötigten Kantonssprachen ausweisen können, stellt die Pädagogische Hochschule Graubünden zuweilen vor grosse Herausforderungen. Dementsprechend ist die Erhaltung einer hohen Arbeitsplatzattraktivität, die hochschulinterne, auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden abgestimmte Personalentwicklung sowie die Pflege der internen, wertebasierten Arbeitskultur für Hochschulen von grosser Bedeutung. Das im Regierungsprogramm 2021 bis 2024 enthaltene Ziel bezüglich der Positionierung des Kantons Graubünden als attraktive Arbeitgeberin zielt in die richtige Richtung. Damit all dies gelingen kann, benötigen wir auch in Zukunft Autonomie, Offenheit und Ressourcen.

Worauf freuen Sie sich persönlich im Jahr 2023?

Ich freue mich sehr, das Jubiläum gemeinsam mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie unseren Studierenden zu erleben und zu feiern. Ohne sie wäre die PH Graubünden nicht das, was wir heute sind. Das 20-jährige Jubiläum wird über das ganze Jahr hinweg mit verschiedenen Aktionen gefeiert. Dazu werden Begegnungen geschaffen und es wird der Bevölkerung für das uns entgegengebrachte Vertrauen und die Unterstützung gedankt.

Zur Person

Prof. Dr. Gian-Paolo Curcio hat nach seiner Ausbildung zur Primarlehrperson am Oberwalliser Lehrerinnen- und Lehrerseminar an der Universität Fribourg Pädagogik und pädagogische Psychologie sowie Geschichte der Neuzeit und Zeitgeschichte studiert und das Studium 2002 mit dem Lizenziat abgeschlossen. Im Anschluss arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent an der Militärakademie an der ETH Zürich und als Projektleiter an der Universität Fribourg. 2007 promovierte er an der philosophischen Fakultät der Universität Fribourg in Pädagogik zum Thema Verantwortungsmotivation von Führungskräften. Ab 2008 arbeitete er in verschiedenen Funktionen für die Schweizer Armee, bis er 2011 die Leitung der Abteilung Grundausbildung sowie die Stellvertretungsfunktion des Rektors übernahm. Seit 2014 ist er Rektor der PH Graubünden. 2021 würdigte der Hochschulrat seine Leistungen mit der Verleihung des Professorentitels.

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