Interview
«MUSIKALISCHE FÖRDERUNG DARF KEINE FRAGE DER SOZIALEN HERKUNFT SEIN»

Musikdozentin und Lehrgangsleiterin Esther Bläsi-Huber spricht über die Herausforderungen im Musikunterricht und erklärt, warum Lehrpersonen einen grossen Einfluss auf die musikalische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen haben.

Esther Bläsi, wie hat sich der Musikunterricht im Vergleich zu früher verändert?

Das gemeinsame Singen stand früher im Mittelpunkt. Ich kann mich noch gut an meine eigene Schulzeit erinnern. Das Singen gehörte zum täglichen Schulstart und Schulschluss und war eine Abwechslung zwischen den einzelnen Fächern. Auf diese Art haben wir ein grosses Repertoire an Liedern gelernt, aber nie mit Schulinstrumenten musiziert, Musik gehört oder getanzt. Heute ist der Musikunterricht viel umfassender. Er basiert auf einem erweiterten Musikverständnis, welches Singen, Hören, Bewegen, Tanzen, Musizieren, Erfinden, Gestalten und vieles mehr miteinbezieht.

 

Welchen Einfluss hat der reguläre Unterricht auf die musikalische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen?

Einen grossen. Ich beobachte, dass die Musik, das Musikhören zwar eine grosse Bedeutung für Kinder und Jugendliche hat, dass es aber keineswegs selbstverständlich ist, selber Musik zu machen, zu singen oder ein Instrument zu erlernen. Immer häufiger bestimmen soziale Faktoren über den Zugang zur Musik, da die Angebote der Musikschulen trotz Unterstützung durch Gemeinden und Kantone mit Kosten verbunden sind. Nicht alle Familien können und wollen sich das leisten, was zu entsprechenden Ungleichheiten führt. Es liegt in der Verantwortung von Schulen und Lehrkräften, dafür zu sorgen, dass alle Kinder, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, die gleichen Chancen haben, ihre musikalischen Fähigkeiten zu entwickeln. Musik sollte also nicht nur als Hobby betrachtet werden, sondern auch als wichtiger Bestandteil unserer Kultur. Genauso wie Sport. Daher ist es entscheidend, Musik nicht isoliert als Freizeitaktivität zu betrachten, sondern sie aktiv in den schulischen Kontext zu integrieren.

 

Was zeichnet einen guten Musikunterricht aus?

Erfolgreicher Musikunterricht erfordert vor allem die Fähigkeit, die Begeisterung für Musik zu vermitteln. Die Leidenschaft für die Musik ist dabei viel wichtiger als virtuose Fertigkeiten. Es geht darum, die Freude am künstlerischen Ausdruck zu vermitteln und die Schülerinnen und Schüler zur aktiven Auseinandersetzung mit der Musik anzuregen. Der Unterricht selber muss nicht immer Spass machen, sondern darf auch ruhig mal anstrengend sein. Denn in der Musik ist es wie so oft im Leben: Richtige Freude kommt erst dann auf, wenn man sich anstrengen muss, um ein Ziel zu erreichen und plötzlich sind alle im musikalischen Flow.

 

Wie erlebt man so einen Moment?

Wenn ich es schaffe, dass meine Schülerinnen und Schüler komplett präsent sind, egal ob wir singen, tanzen oder musizieren, dann bekomme ich richtig Gänsehaut. Es ist dieser magische Moment, den man förmlich spüren kann. Und genau darum geht es: gemeinsam diesen Moment zu finden. Und wenn man die Klasse fragt: «Hey, habt ihr das jetzt gerade auch so erlebt?», dann geht es ihnen genauso. Diesen Moment zu erleben, das ist etwas ganz Besonderes.

 

Was jetzt so einfach klingt, ist wahrscheinlich gar nicht so einfach?

Für mich als Lehrperson ist es wichtig, etwas aus der Musik zu machen. Also einen kreativen Prozess auszulösen. Dass ist immer wieder eine Herausforderung und verlangt von mir eine sehr hohe Präsenz, aber natürlich auch eine solide Basis an musikalischen Grundfertigkeiten, auf die ich zurückgreifen kann.

 

Inwieweit sollen dabei individuelle Vorlieben von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt werden?

Singen, Tanzen, Hören und Musizieren sind mehr denn je geprägt von individuellen Voraussetzungen wie Hörgewohnheiten, Musikkultur, Vorlieben, um nur einige zu nennen. Die Herausforderung besteht darin, Kinder und Jugendliche auf verschiedenen Ebenen zur aktiven Auseinandersetzung mit Musik zu motivieren. Das heisst zum Beispiel, einen «Move» nicht nur zu imitieren, sondern auch weiterzuentwickeln, zu verändern. Eben selber kreativ zu werden.

 

Was möchten Sie mit dem neuen CAS Musik erreichen?

Der CAS Musik richtet sich an musikinteressierte Lehrpersonen der Volksschule. Er bietet die Möglichkeit, musikalische Fertigkeiten zu vertiefen, neue Inhalte zu erarbeiten und den eigenen Musikunterricht gemeinsam mit anderen Lehrpersonen weiterzuentwickeln. Der Kurs deckt verschiedene Kompetenzbereiche ab und ermöglicht eine praktische Umsetzung im Unterricht. Gleichzeitig kann er die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auffordern, dem Musikunterricht in der Schule mehr Bedeutung zu geben.

 

Woran denken Sie da?

Der Musikunterricht ist für viele Kinder der einzige Ort des organisierten Musiklernens. Sie erleben hier kulturelle Identität, setzen sich damit auseinander und erfahren Zugehörigkeit. Musik ist ein bedeutender Teil von Kulturvermittlung. Nebst dem Erweitern der eigenen musikalischen und musikpädagogischen Kompetenzen können Teilnehmende dieses Lehrgangs in ihrer Rolle als Kulturvermittlerinnen und Kulturvermittler bestärkt werden und andere Lehrpersonen in musikalischen Belangen wie Projekten, Produkten oder Fachunterricht unterstützen.

Esther Bläsi-Huber arbeitet seit 2005 an der PH Graubünden in der Aus- und Weiterbildung im Bereich Musik / Rhythmik. Sie hat als Lehrerin in der Primarschule unterrichtet und 1995 ihr Studium in Rhythmik an der Musikhochschule Luzern abgeschlossen. Seit 2014 ist sie als Fachlehrperson Musik in verschiedenen Primarstufen tätig.

CAS Musik.

Kinder und Jugendliche zum aktiven Musizieren zu begeistern und ihnen einen wertfreien Zugang in die Vielfalt der Musik zu ermöglichen, ist eine grosse Herausforderung. Als musikinteressierte Lehrperson vertiefen Sie in diesem Lehrgang Ihre musikalischen Fertigkeiten. Anhand von Inputs, Hospitationen und Austausch in Lerngruppen entwickeln Sie Ihren Musikunterricht weiter und erproben, leiten und gestalten gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern musikalische Umsetzungen und Projekte.

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Filmtipp von Esther Bläsi-Huber: «bödälä»

Musik ist ein wichtiger Bestandteil der Schweizer Kultur. Doch wer würde schon vermuten, dass Schweizer Volkstänze mit dem Amerikanischen Stepptanz oder dem wilden Irish Dance oder gar mit dem feurigen spanischen Flamenco in Verbindung gebracht werden könnten? Regisseurin Gitta Gsell hat sich auf Spurensuche begeben und ist dabei Schweizer Tänzerinnen und Tänzern begegnet, die ihre Leidenschaft fürs tanzende Klopfen und Stampfen auf den Boden, mit grosser Freude und Energie zu vermitteln vermögen. Ein Film über ein Stück Schweizer Kultur und ein erweitertes Musikverständnis, das auch Rhythmik/Musik und Bewegung sowie Elemente aus dem Tanz miteinbezieht.

Der Film der Schweizer Regisseurin Gitta Gsell wurde 2010 mit dem Publikumspreis der Solothurner Filmtage ausgezeichnet.

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