Interview
«Mathematik gewinnt zweifellos an Bedeutung»

Die Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft und stellt auch die Bildung vor neue Herausforderungen. Prof. Dr. Matthias Müller, Professor für Mathematikdidaktik an der PH Graubünden, erläutert, warum mathematische Kompetenzen in Zukunft immer wichtiger werden und welche neuen Strategien es braucht, um Schülerinnen und Schüler optimal auf die Welt von morgen vorzubereiten.

Die Digitalisierung bringt neue Technologien und neue Anwendungen mit sich. Wie werden diese unsere Gesellschaft verändern?

Es handelt sich um eine wechselseitige Abhängigkeit. Die Digitalisierung bringt neue Technologien hervor, die wiederum den Digitalisierungsprozess vorantreiben. Der rasante Prozess hat einen tiefgreifenden Einfluss auf unsere Gesellschaft, das beginnt schon bei der Art und Weise, wie wir kommunizieren. Einer der Schlüsselbereiche, in den der Digitalisierungsprozess hineinwirkt, ist der Bildungsbereich.

Wie zeigt sich der Einfluss der Digitalität auf unser Bildungssystem?

Die Digitalisierung bietet die Chance, Bildungsinhalte im Unterricht zugänglicher und personalisierter zu gestalten. Plattformen wie Moodle, mit denen wir auch an der PH Graubünden arbeiten, und weitere digitale Medien werden immer verbreiteter. Das ermöglicht ortsunabhängiges und zeitlich-flexibles Lernen. Diese Entwicklung regt dazu an, Lehrmethoden mit Blick auf das individualisierte Lernen weiterzudenken.

Wie können Schulen sicherstellen, dass sie die Kinder und Jugendlichen optimal auf die Anforderungen der Zukunft vorbereiten?

Nachhaltiger Unterricht fokussiert sich nicht nur auf Faktenwissen, sondern auch auf das Verständnis von Konzepten und die Entwicklung von Problemlösekompetenz. Ein kompetenzorientierter Ansatz, der kritisches Denken und kreative Problemlösungen fördert, ist aus Forschungsperspektive besonders wirksam. Der Schweizer Lehrplan 21 bietet da gute Ansätze. Zudem ist die Zusammenarbeit mit Hochschulen und Universitäten wichtig, um aktuelle fachwissenschaftliche und fachdidaktische Erkenntnisse in den Unterricht zu integrieren und Lernenden wichtige Einblicke zu bieten. Beispiele hierfür sind das MINT-Zentrum an der PH Graubünden und das Schülerforschungszentrum (SFZ) in Jena, das ich mehrere Jahre wissenschaftlich begleitet habe.

Was fasziniert Sie an der Mathematik?

Bei dieser Frage kommen mir verschiedene faszinierende Aspekte der Mathematik in den Sinn. So besticht die Mathematik beispielsweise durch eine tiefe ästhetische Schönheit, die sich in mathematischen Mustern und Strukturen finden lässt, wie die Symmetrien verschiedener Geometrien oder die Logik eines eleganten Beweises.

Gewinnt sie durch den verstärkten Einsatz technologischer Anwendungen an Bedeutung?

Ja, zweifellos. Mathematik ist die Grundlage für viele (digitale) Technologien. So hängt die Sicherheit digitaler Kommunikation und Transaktionen stark von kryptographischen Verschlüsselungsverfahren ab, die auf mathematischen Algorithmen basieren. Auch Künstliche Intelligenz bzw. maschinelles Lernen sind Bereiche, die stark von mathematischen Konzepten wie Algebra, Optimierung und Statistik abhängen. Die Entwicklung von Algorithmen, die lernen und Muster in Daten erkennen können, basiert auf mathematischen Grundlagen.

Brauchen wir also mehr Matheunterricht in der Schule?

Ja, aber nicht einfach mehr Stunden. Wichtig ist, dass mathematische Inhalte fächerübergreifend und vernetzt unterrichtet werden. Mathematik ist überall präsent. Es ist wichtig, dass im Sinne eines integrativen MINT-Unterrichts grundlegende mathematischen Konzepte wie Symmetrien und funktionale Zusammenhänge im Unterricht den Lernenden deutlich werden, sodass der Kompetenzaufbau auf eine breite Basis gestellt wird.

Welche Erkenntnisse lassen sich aus den Ergebnissen der PISA-Studie für den Schulunterricht ableiten?

Die aktuelle Studie der OECD bietet einen Überblick über die Kompetenzstände von Lernenden weltweit, insbesondere für die Kompetenzen in Mathematik und Naturwissenschaften. Schweizer Schülerinnen und Schüler rangieren hier konstant auf einem hohen Niveau. Dennoch bedarf es weiterer Anstrengungen, damit es so bleibt. Zwei zentrale Aspekte, die dazu beitragen können, sind der verstärkte Einsatz digitaler Medien beim Lehren und Lernen sowie die Förderung der Problemlösekompetenz der Lernenden.

Welche Erkenntnisse bezüglich der Wirksamkeit des MINT-Unterrichts zeigen sich aus der Forschung?

Ein integrativer, vernetzender Ansatz ist für einen nachhaltigen MINT-Unterricht besonders förderlich. Des Weiteren zeigen aktuelle Forschungsergebnisse die Bedeutung der Praxisorientierung sowie des Anwendungsbezugs für den MINT-Unterricht auf, da Lernende ein höheres Interesse und bessere Leistungen zeigen, wenn sie sehen, wie die Fächer zur Lösung realer Probleme beitragen können. Zudem bieten digitale Medien neue Möglichkeiten, wie Simulationen oder Online-Labore, was das Lernen anschaulicher und interaktiver macht.

Welche Ansätze verfolgen andere Länder, insbesondere Deutschland?

Der aktuelle Bericht «Digital Education Outlook 2023» der OECD zeigt, wie Schulen weltweit digitale Technologien nutzen können, um ihre Bildungssysteme zu verbessern. Zwei zentrale Fragen beschäftigen derzeit alle Länder: Wie können digitale Kompetenzen von Lehrpersonen gefördert werden, und welche Richtlinien und Schutzmassnahmen bedarf es, um einen effektiven und gerechten Einsatz von KI in der Bildung zu ermöglichen?

Was kann die Schweiz vom Ausland lernen?

Wie in der Schweiz ist auch in Deutschland die Digitalisierung des Bildungssystems eine grosse Herausforderung. Das aktuelle deutsche Förderprogramm «Basis-DigitalPakt Schule 2019 bis 2024» umfasst 5 Milliarden Euro. Allerdings ist es mit einer guten Ausstattung nicht getan. Bestimmend muss das Primat der Pädagogik sein. Die Wahl eines digitalen Mediums muss nach den pädagogischen Zielen erfolgen.

Braucht es neue Strategien, um sicherzustellen, dass wir in Zukunft über genügend MINT-Fachkräfte verfügen?

Wichtig ist die frühzeitige Förderung, da die Weichen für ein starkes Interesse und solide Kompetenzen in MINT-Fächern bereits im Primarschulalter gestellt werden. Bildungsangebote, die Spass am Entdecken und Experimentieren wecken, sind entscheidend für die spätere MINT-Laufbahn. Ebenso wissen wir aus der Forschung, dass Lehrpersonen ein Schlüsselfaktor sind. Ihre Qualifikation und ihr Engagement sind entscheidend für die Qualität des MINT-Unterrichts. Fortbildungen und professionelle Unterstützung können Lehrkräfte dabei unterstützen, ihren Unterricht effektiver zu gestalten und aktuelle Inhalte zu vermitteln. Die PH Graubünden bietet daher ein umfassendes Fortbildungsprogramm für sie an.

Prof. Dr. Matthias Müller leitet neu die Professur für Fachdidaktik Mathematik an der PH Graubünden. Nach seiner Promotion im Jahr 2014 erlangte er sein zweites Staatsexamen und sammelte vertiefte schulpraktische Lehrerfahrungen. Seine Habilitation an der Fakultät für Mathematik und Informatik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena fokussierte sich auf das Lehren und Lernen mit digitalen Mathematikwerkzeugen. Der Forschungsschwerpunkt wird auch in aktuellen Projekten wie dem «Schülerforschungszentrum Mathematik mit digitalen Werkzeugen» weiterverfolgt.

MINTzentrum

Mit der MINT-Förderung setzt sich die PH Graubünden zum Ziel, dass angehende wie auch erfahrene Lehrpersonen die neuen Technologien kennen, diese anwenden und im Unterricht einsetzen können. Die Lehrer:innen werden für MINT-Inhalte begeistert und befähigt, diese Kompetenzen ihrer Schüler:innen wirksam zu fördern.

mehr Informationen

Das könnte Sie auch interessieren

Bereit für die Zukunft 16 Jahre MINT-Förderung an der PH Graubünden

Mit dem MINTmobil in die Schulen

Finale der First Lego League Deutschland- Österreich und Schweiz (DACH)

Exklusives Angebot für Schülerinnen und Schüler Tauche ein in die Welt der Robotik!

i-CAMPs GR Kids 2024

Veranstaltungskalender i-CAMPs GR Teacher 2024

Ihr Browser (IE 11) ist leider zu alt und wird nicht mehr unterstützt.