Man sagt, in der Chefetage sei es oft einsam. Geht es Schulleiterinnen und Schulleitern auch so?
Ich glaube, dass man sich oft einsamer fühlt, als dass man effektiv ist. Denn gerade in schwierigen Situationen merke ich, dass ich nicht alleine bin. Da sind vernetzte Schulleitungen oder Mitglieder der Schulbehörde, die involviert sind, oder andere Beteiligte, die mich unterstützen. Aber es ist so: Wenn es Probleme gibt, wird von der Schulleitung erwartet, dass sie die Verantwortung übernimmt und die Probleme entsprechend löst.
Wie stark wird eine Schule durch die Schulleitung geprägt?
Gerade in ländlich geprägten Schulen wie Churwalden ist ein Schulleiter mehr als ein Name auf einem Organigramm. Als Schulleiter vertrete ich die Schule nach innen und aussen. Ein entsprechendes Auftreten wird von mir also erwartet - sei es auf dem Pausenplatz, an offiziellen Schulanlässen, bei Theateraufführungen oder an einem Skirennen. Das ist mir persönlich auch sehr wichtig, so bin ich stets involviert und bleibe am Ball. Natürlich prägt ein Schulleiter eine Schule auch sehr stark durch seine Persönlichkeit, seine Fähigkeiten, seine Erfahrungen und Wertvorstellungen.
Was zeichnet eine gute Schulleitung aus?
Man muss für seine Mitarbeitenden da sein und stets ein offenes Ohr für ihre Anliegen haben. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen: Sie können immer zu mir kommen und wir finden gemeinsam eine konstruktive Lösung. Ehrlichkeit ist mir persönlich in der Zusammenarbeit sehr wichtig. Das bedeutet, auch mal Dinge direkt anzusprechen und nicht zu versuchen, Situationen schönzureden. Lieber die Dinge gemeinsam angehen - getreu dem Motto «den Stier bei den Hörnern packen.»
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Pünktlichkeit ist immer wieder ein Thema; etwas, worauf ich viel Wert lege. Oder wenn ich eine Klasse besuche und merke: Da stimmt etwas nicht. Das kann sein, wenn die Beziehung zwischen der Lehrperson und der Klasse nicht so ist, wie sie sein sollte, oder wenn ich merke, dass eine gewisse Unruhe in der Klasse herrscht. Als Schulleiter bekomme ich im Alltag so einiges mit. Wenn so etwas vorkommt, suche ich das Gespräch mit dem oder der Betroffenen. Oft steckt gar kein schulisches Problem dahinter. Es kann auch sein, dass eine Lehrperson privat eine schwierige Phase durchmacht. In solchen Situationen ist es wichtig, Themen anzusprechen und Unterstützung anzubieten. Denn auch von Lehrpersonen wird erwartet, dass sie trotz ihrer Sorgen ihre Verantwortung in der Schule wahrnehmen.
Was sind Ihre Aufgaben?
Die Aufgaben sind sehr abwechslungsreich und es wird nie langweilig. Denn jeder Tag bringt neue Herausforderungen mit sich. So kann es sein, dass schon um 6.30 Uhr das Telefon klingelt, weil eine Lehrerin oder ein Lehrer krank ist oder wenig später ein Kind unentschuldigt fehlt. Die Aufgaben sind sehr vielfältig. Jeden Tag gibt es neue Herausforderungen. Als Schulleiter kümmere ich mich um organisatorische Dinge oder beantworte Fragen, die von den Behörden an uns herangetragen werden. Ich beschäftige mich mit der Personalplanung, mit dem Projekt- und Prozessmanagement, mit den Finanzen genauso wie mit der Planung von Veranstaltungen. Heute gibt es operative Probleme zu lösen, morgen geht es um Strategien. Es ist ein täglicher Spagat zwischen dem Tagesgeschäft und dem Zukunftsgeschäft, also dem, was gerade auf der Agenda steht, und dem, was uns in einem halben oder einem Jahr beschäftigen wird.
Worum geht es bei solchen Zukunftsgeschäften?
Das Schuljahr hat gerade erst begonnen und doch beschäftige ich mich heute schon mit dem neuen Jahr. Ich analysiere zum Beispiel die Schülerzahlen, versuche Trends zu erkennen und leite daraus entsprechende Massnahmen für unsere Schule ab. Wie wirken sich die Schülerzahlen auf den Unterricht aus? Reichen die personellen und finanziellen Ressourcen? Aber auch logistische Aspekte sind zu berücksichtigen. Reicht der Schulbus oder sind zusätzliche Fahrten nötig, wie organisieren wir den Schwimmunterricht bei steigenden Schülerzahlen? Das ist wie bei der Guggenmusik, die schon im Herbst für den Februar probt, oder beim Handel, der mitten im Sommer die Weihnachtsgeschäfte vorbereitet.
«Zur Schulleitung geht man, wenn man ein Problem hat.» Wie sehen Sie das?
Oft ist es so. Wenn die Mitarbeitenden zu mir kommen, dann beschäftigt sie etwas. Im Gespräch merkt man schnell, ob sich das Anliegen einfach lösen lässt oder ob es eine Begleitung oder mehr Unterstützung von meiner Seite braucht. Dafür bin ich da. Die Verantwortung nehme ich gerne wahr.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Das ist sehr unterschiedlich. Das kann der Umgang mit schwierigen Schülern sein oder herausfordernde Elterngespräche. Es kann aber auch sein, dass es Probleme im Team gibt. Wenn die Zusammenarbeit nicht so klappt, wie sich das eine Lehrperson wünscht, oder wenn man unterschiedlicher Meinung ist.
Wie schafft man es, sich all dem anzunehmen?
Mit der Zeit kennt man seine Kolleginnen und Kollegen. Es gibt diejenigen, die bei Problemen schnell bei mir anklopfen. Dann gibt es andere, die sehr selbständig arbeiten und zunächst versuchen, Probleme selbst zu lösen. Die kommen dann oft erst, wenn es wirklich ernst wird. Hier muss man lernen zu trennen: Was liegt in der Verantwortung der Klassenführung, was ist Aufgabe der Lehrperson und was muss man auf Schulleitungsebene angehen.
Welche Fähigkeiten muss man für den Beruf mitbringen?
Neben organisatorischen Fähigkeiten braucht es sicherlich ein gutes Gespür für Menschen. Gute Menschenkenntnis ermöglicht es zu erkennen, was das Gegenüber braucht. Das ist vergleichbar mit der Tätigkeit einer Lehrperson, die auch ganz unterschiedliche Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Charakteren in ihrer Klasse hat. Als Schulleiter habe ich zwar andere Aufgaben, andere Verantwortungsbereiche, aber sich auf unterschiedliche Menschen einstellen zu können, das ist nicht anders als bei einer Lehrperson.
Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen in Ihrem Beruf?
Ich glaube, es sind oft die hohen Erwartungen, die man an sich selbst stellt. Man setzt sich persönliche Ziele und stellt fest, dass man diese vielleicht nicht erreichen wird. Man muss immer wieder Umwege gehen, sich überlegen, ob es vielleicht andere Strategien gibt, um ans Ziel zu gelangen. Es kann sein, dass man eine Idee im Kopf hat, von etwas total begeistert ist und dann feststellt, dass andere es vielleicht nicht so sehen oder es kein Bedarf dafür gibt. Vielleicht weil die Zeit für bestimmte Veränderungen noch nicht reif ist. Dann geht es wieder zurück auf Feld 1. Man muss immer flexibel sein und immer wieder Kompromisse eingehen, das ist die grosse Herausforderung. Eine gewisse Gefahr besteht sicher auch darin, dass man gedanklich immer mit der Schule verbunden ist, selbst dann, wenn man längst zu Hause ist. Man muss lernen, auch mal abzuschalten.
Sie haben den CAS Schulleitung an der PH Graubünden absolviert. Was haben Sie an der Ausbildung besonders geschätzt?
Die Ausbildung war sehr spannend und abwechslungsreich. Die Dozenten verfügten nicht nur über ein breites Fachwissen, sondern kannten auch die Anforderungen der Führungspraxis. Besonders wertvoll waren auch die Unterlagen, die einem nochmals einen vertieften Einblick in die verschiedenen Themen gaben, sowie die Arbeit in den Lerngruppen. Hier konnte man sich mit Gleichgesinnten austauschen und von den gegenseitigen Erfahrungen profitieren. Besonders geschätzt habe ich auch, dass im Unterricht auf schulspezifische Themen im Kanton Graubünden eingegangen werden konnte.
Welche Lerninhalte bringen Ihnen einen besonderen Mehrwert für die Praxis?
Es gab viele Themen, die mich persönlich sehr interessiert haben und die mir heute im Schulalltag helfen. Ich denke da an die Prozessbegleitung oder an spezifische Rechtsfragen, mit denen Schulen heute immer öfter konfrontiert sind. Oder wie man sich als Schule organisiert, bis hin zur Budgetplanung. Auch wie man überhaupt eine Organisation aufbaut, damit sie etwas bewegen kann, oder wie man eine Buchhaltung führt. All das kann ich auch in der Praxis anwenden.
Und was lernt man in keiner Schule?
Es ist wie in der Ausbildung zur Lehrperson. Man wird ohne Kinder ausgebildet und steht plötzlich mit Kindern in der Klasse. Als Schulleiter ist es genauso. Man kann sich noch so sehr in die Theorie vertiefen, in der Praxis sieht es oft anders aus. Nehmen wir das Beispiel Personalführung. Die Reaktionen in verschiedenen Situationen sind so unterschiedlich wie es Menschen gibt. In solchen Situationen gibt einem die Theorie zwar Halt, aber das Gegenüber verhält sich trotzdem anders. Ich glaube, es ist wichtig, dass man Situationen reflektiert: Wie habe ich die Situation erlebt? Wo und wie hätte ich anders reagieren können? Wie verhalte ich mich, wenn ich wieder einmal in so eine Situation komme? So gewinnt man mit der Zeit die nötige Routine.
Bitte ergänzen Sie den folgenden Satz. Das grösste Geschenk, das ich meinen Lehrpersonen machen kann, ist…
wenn sie sagen können, dass sie an einem Ort arbeiten, an dem ihre Arbeit geschätzt wird und an dem die Bedingungen für die Umsetzung ihrer Arbeit gegeben sind.