23.04.2024
Welttag des Buches

Der Welttag des Buches, der jedes Jahr am 23. April stattfindet, ist ein von der UNESCO initiiertes Fest zur Förderung der Freude am Buch und am Lesen. Dieser Tag fällt mit dem Todestag bedeutender Schriftsteller wie William Shakespeare und Miguel de Cervantes zusammen. Gedanken zum Tag des Buches im Zeitalter der Digitalisierung von Prof. Dr. Vincenzo Todisco, Sprachwissenschaftler und Buchautor. Für sein literarisches Schaffen wurde er Anfang Jahr von der Bündner Regierung mit dem Anerkennungspreis ausgezeichnet.

Nicht ohne Bücher

Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung wird das Buch immer mehr zurückgedrängt. Manche sagen ihm sogar den Untergang voraus. In Sachen Buch spielt die Schule eine wichtige Rolle. Für viele ist es der einzige Ort, an dem sie mit Büchern in Kontakt treten. Das Buch aufzugeben wäre ein Fehler. Kinder brauchen Bücher, denn sie bilden den Gegenpol zur immateriellen Welt der digitalen Medien. Ein grosser Vorteil digitaler Medien sei ihre Interaktivität. Aber gibt es etwas interaktiveres als ein Buch? In einem Buch kann man hineinschreiben, man kann die Ecken zu Eselsohren falten, um am nächsten Tag weiterzulesen, man kann mit dem Finger den Linien nachgehen, man kann am Papier riechen – alte Bücher riechen anders als neue. Bücher kann man überall mitnehmen, sie sind umweltfreundlich, sie brauchen keinen Strom und man kann sie recyclen. Bücher kann man ausleihen, sammeln, verschenken, tauschen, man kann sie signieren lassen, sie in das Bücherregal versorgen, nach hundert Jahren wieder herausnehmen und sie sind immer noch da, das Papier etwas vergilbt und spröde, aber man kann noch jeden Buchstaben lesen. Seit es Bücher gibt, wird in ihnen die Kultur des Menschen aufbewahrt. Wir können die Gedanken von Philosophen lesen, die vor mehr als zweitausend Jahren gelebt haben. Die Disketten, mit denen ich vor dreissig Jahren meine Lizenziatsarbeit verfasst habe, kann heute hingegen kein Computer mehr lesen. Alles verliert sich in der immateriellen Welt des Digitalen, nur das Buch bleibt beständig. Es hat eine physische Ästhetik, man kann es anfassen, in die Hand nehmen. Bücher sind langlebig. Bevor sie spröde werden und die Seiten herausfallen, müssen ein paar hundert Jahre vergehen. Bücher atmen, leben, altern, wie Menschen.

Es geht hier nicht darum, das Buch gegen die digitalen Medien oder umgekehrt auszuspielen. In der Schule muss es ein Neben- oder noch besser ein Miteinander geben. Umberto Eco hat einmal gesagt, wer nicht lese, lebe ein einziges Leben, wer hingegen viel lese, lebe viele Leben. Wahrlich, lesen kann man auch ohne Bücher, aber ohne Bücher entgeht uns eine sinnliche Erfahrung. Denn das Buch erzeugt einen intimen Bezug zum Lesen. Es wirkt entschleunigend, lädt zu einspurigem, langsamen und tiefgründigem Lesen ein, es wirkt entspannend, denn vom Buch prallt einem kein helles Licht entgegen.

Kinder brauchen Geschichten. Bücher horten Literatur. In der Literatur zeigt sich die Überlegenheit des menschlichen Geistes. Literatur gelangt in Büchern zu den Menschen. Der Mensch, allen voran das Kind, brauchen Bücher, sonst verstummt etwas in ihnen.

Prof. Dr. Vincenzo Todisco ist Leiter der Sonderprofessur Integrierte Mehrsprachigkeitsdidaktik mit Schwerpunkt Italienisch und Dozent an der PH Graubünden. Seit 40 Jahren ist er eng mit der Stadt Chur verbunden. Er ist nebenberuflich schriftstellerisch tätig und schreibt in italienischer und deutscher Sprache. Er hat bereits fünf Romane veröffentlicht. 2024 wurde er von der Bündner Regierung mit dem Anerkennungspreis ausgezeichnet. 2005 erhielt er den Bündner Literaturpreis. Sein Roman «Das Eidechsenkind» war 2018 für den Schweizer Buchpreis nominiert.

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