Themenabend
Ist unsere Schule gerecht? 

Ein starkes und gutes Bildungssystem ist einer der Grundpfeiler in unserer Gesellschaft. Die Herausforderungen die aktuell an das Bildungssystem gestellt werden sind breit und vielfältig. Eine relevante und viel diskutierte Thematik ist die Selektion und die damit verbundene Frage nach der Bildungsgerechtigkeit. So stand der Abendanlass vom 22. April 2024 unter dem Thema «Der Mythos der gleichen Chancen – Schule, Selektion und Bildungsgerechtigkeit aus der Perspektive der Politik, der Wirtschaft und der Bildung». Rund 130 Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Bildung haben sich dieser Frage entlang verschiedener Stränge diskursiv angenähert.

Im Rahmen eines Inputreferat konnte Prof. Dr. Maag Merki, Direktorin des Instituts für Erziehungswissenschaften an der Universität Zürich, gestützt auf verschiedene Studien entlang eines ersten Zugangs aufzeigen, dass der familiäre Bildungshintergrund mit dem Erreichen der Grundkompetenzen zusammenhängt. So schneiden Kantone mit einer geringeren Bildungsbenachteiligung bei der Erreichung der Grundkompetenzen besser ab, als Kantone, die einen stärkeren Einfluss der familiären Herkunft auf die Leistung der Schülerinnen und Schüler aufweisen. Dieser Trend zeigt sich nicht nur bei der Überprüfung der Grundkompetenzen (ÜGK), sondern auch in den aktuellen Resultaten der PISA-Studie.

Herausforderungen bei der Bildungsgerechtigkeit

Während sich die Leistungen der Schülerinnen und Schülern aus Familien mit einem bildungsnahen Hintergrund konstant hoch zeigen, sind die Leistungen von Schülerinnen und Schüler aus Familien mit einem eher bildungsfernen Hintergrund in den letzten sieben Jahren deutlich rückläufig. «Wir verlieren die Schülerinnen und Schüler aus Familien mit einem bildungsfernen Hintergrund», so Katharina Maag Merki. Dieser Herkunftseffekt führt sie zum zweiten Zugang, nämlich zur Selektion in der Primarschule. Maag Merki konnte aufgrund der Resultate im Fach Mathematik aufzeigen, dass die Verteilung der ÜGK-Mathematikleistungen nach Schultyp hohe Überlappungen aufweist. So sind die Mathematikkompetenzen der besten Realschülerinnen und -schüler auf demselben Niveau wie jene der schwächsten Gymnasiastinnen und Gymnasiasten. Um solche «Fehleinteilungen» zu vermeiden, schlägt die Professorin vor, die Selektion erst am Ende der neunten Klasse (3. Oberstufe) vorzunehmen.  

An der anschliessenden Podiumsdiskussion mit Marc Bourgeois (Mitglied des Kantonsrats sowie der Kommission für Bildung und Kultur im Kanton Zürich), Renato Fasciati (Direktor Rhätische Bahn), Franz Eberle (emeritierter Professor für Gymnasial- und Wirtschaftspädagogik an der Uni Zürich), Katharina Maag Merki (Direktorin des Instituts für Erziehungswissenschaft, Universität Zürich), Sandra Locher Benguerel (Alt-Nationalrätin, Vize-Präsidentin des Hochschulrates der PH Graubünden, Geschäftsmitglied LCH, Lehrerin) sowie Rudolf Minsch (Stv. Vorsitzender der Geschäftsleitung economiesuisse, Leiter allgemeine Wirtschaftspolitik & Bildung / Chefökonom), unter der Leitung von Prof. Dr. Gian-Paolo Curcio (Rektor PH Graubünden), wurden bestehende Bewertungspraktika, mögliche Lösungsansätze und künftige Entwicklungen angeregt und kontrovers diskutiert.   

Einig waren sich die Teilnehmenden des Podiums indessen, dass die Schule unter anderen eine Qualifikations- und Selektionsfunktion zu erfüllen hat. Es geht entsprechend nicht um die Frage ob, sondern wann die Selektion erfolgt und wie sie umgesetzt wird. Seitens der Wirtschaft wird gefordert, dass die Noten und Berichte vergleichbar sein müssen, wenn möglich sogar auf nationaler Ebene. Geleichzeitig forderte Prof. Dr. Rudolf Minsch die Stärkung der beruflichen Grundbildung (Berufslehre) und die Sicherung der Qualität an Gymnasien.

Die Rolle des Gymnasiums und alternative Wege

«Das Gymnasium ist nicht in jedem Fall der Königsweg», so Rudolf Minsch. Dem Bündner Aufnahmeverfahren ans Gymnasium stellt Prof. Dr. Franz Eberle ein gutes Zeugnis aus, zumal damit nicht nur die Tagesform einer Schülerin oder eines Schüler berücksichtigt wird, sondern die Vornoten einzelner Fächer berücksichtigt werden. Einem freien Zugang ans Gymnasium steht er indessen kritisch gegenüber, zumal dies das Problem der Selektion auf einen späteren Zeitpunkt verschieben würde. Sandra Locher Benguerel, Marc Bourgeois und Renato Fasciati betonten derweil, dass das Ziel der Volksschule unter anderem das Erwerben von grundlegenden Kenntnissen und Kompetenzen sei, welche es ihnen erlauben, lebenslang zu lernen und ihren Platz in der Gesellschaft sowie im Berufsleben, ihre Eignung und Neigung berücksichtigend, zu finden. Sandra Locher Benguerel unterstrich in diesem Zusammenhang: «Als Lehrpersonen ist es unsere Pflicht, unseren Schülerinnen und Schülern Erfolgserlebnisse vermitteln zu können, damit sie sich optimal weiterentwickeln können. Die sich verstärkende Bildungsungerechtigkeit ist ein Weckruf. Umso entschlossener müssen wir alles daransetzen, den jungen Menschen eine faire Entwicklungschance zu geben.»

Selektion und Bildungsgerechtigkeit gehen uns alle an

Der Anlass «Mythos der gleichen Chancen. Schule, Selektion und Bildungsgerechtigkeit aus der Perspektive der Politik, der Wirtschaft und der Bildung» hat aufgezeigt, dass Selektion als Funktion der Schule und der damit verbundene Anspruch an eine hohe Bildungsgerechtigkeit angesichts der vorliegenden Erkenntnisse aus diversen Studien gesellschaftlich bedeutungsvoll und zugleich aktuell ist.  

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