Interview: Denise Feierabend
«Profisportler und Lehrpersonen haben vieles gemeinsam»

Als Skirennfahrerin holte Denise Feierabend einst Olympiagold. 2021 schloss sie an der Pädagogischen Hochschule Graubünden (PHGR) ihren Bachelorstudiengang zur Primarlehrerin ab. Im Interview gibt die ehemalige Studentin Einblick in ihren Studienalltag und zieht Parallelen zu ihrer Karriere als Profisportlerin.

Im Februar 2018 haben Sie an den Olympischen Spielen in Südkorea mit dem Team die Goldmedaille gewonnen. Kurz darauf haben Sie Ihren Rücktritt bekanntgegeben. Weshalb? Olympia war mein grösstes Ziel. Dafür gab ich alles. Nach den Spielen musste ich mir die Frage stellen, ob ich in den kommenden vier Jahren im Sport noch einmal hundert Prozent Einsatz geben kann. Ich merkte, dass ich dazu nicht mehr bereit war.

Woran haben Sie das gemerkt?

Vielleicht waren es die kleinen Anzeichen: Wenn man seine Reisetasche packt, später im Bus sitzt und denkt: «Eigentlich würde ich jetzt lieber zu Hause bleiben».

Für Aussenstehende kam Ihr Rücktritt unvermittelt. Wann haben Sie entschieden, Lehrerin zu werden?

Mit 23 Jahren erlitt ich eine schwere Knieverletzung. Bei einem Kreuzbandriss weiss man als Sportlerin, dass man nach sechs Monaten zurück auf der Piste ist. Bei mir war es anders. Ich lag im Spital und fing an zu rechnen. Ich wusste, dass die nächste Saison für mich gelaufen ist. Damals habe ich mich zum ersten Mal gefragt: «Was, wenn es mit dem Skifahren einmal nicht mehr klappt»?

Und dann?

Ich nutzte die Auszeit, um eine Berufsberatung zu besuchen. Dort bestätigte sich, dass ein Beruf im sozialen Umfeld gut zu mir passen würde, weil ich mir einen tieferen Austausch mit Menschen wünschte. Auch die Arbeit als Kindergärtnerin hätte ich mir zunächst vorstellen können. Doch dann schien die Arbeit als Primarlehrerin passender, weil ich gerne mit älteren Kindern arbeiten wollte. Von da an gab es für mich einen Plan B und mit ihm Sicherheit und Ruhe.

Aus der Profisportlerin wird eine Lehrerin. Gibt es etwas, das die Berufe gemeinsam haben?

Sport war für mich immer auch Lebensschule. Ich lernte, selbstständig zu werden, mich zu organisieren, Ziele zu erreichen. Wichtige Punkte – auch im Leben einer Lehrperson. Zudem war ich schon immer kreativ. Oft packte ich im Bus meine Wolle aus und habe angefangen zu häkeln, als Ausgleich zum Sport.

Welche Werte möchten Sie den Kindern vermitteln?

Ich möchte, dass sie herausfinden, was sie gerne machen. Und vor allem: Wenn sie etwas machen, dass sie es mit Freude machen. Ich habe nicht den Anspruch, dass sie ihre Leidenschaft, ihre Ziele so diszipliniert verfolgen wie ich. Aber ich versuche, diese Motivation weiterzugeben und hoffe, dass sie diese verinnerlichen und es sich in ihrem späteren Leben einmal auszahlt.

Wie holt man das Beste aus den Kindern heraus?

Es ist vermutlich der Anspruch jeder Lehrperson, die Voraussetzungen zu schaffen, damit die Schulkinder ihr Bestes geben können. In einer perfekten Welt gäbe es Klassen mit zehn Kindern, doch solche Bedingungen entsprechen nicht der Realität. Deshalb versucht man, den goldenen Mittelweg zu finden, damit alle Kinder ihre Ziele erreichen. Wichtig ist, dass die Lehrperson immer noch etwas im Köcher bereithält: Zusatzaufgaben für diejenigen, die einfacher lernen oder Unterstützung für jene, die zusätzliche Hilfe benötigen.

Wie viel Freiheit haben Sie bei der Gestaltung des Unterrichts?

Sehr viele. Kompetenzen und Ziele sind im Lehrplan festgelegt, aber mit welchen Inhalten die Ziele erreicht werden, darin ist man frei. Nehmen wir als Beispiel den menschlichen Körper. Auf der Agenda steht das gesamte Spektrum, von den Organfunktionen bis hin zur Ernährung. Da ich es als Sportlerin gewohnt bin, auf meinen Körper zu achten, kann ich ihnen viel Persönliches mitgeben. Auch darüber, wie viel ich meinem Körper damals zugemutet habe oder wie er in Extremsituationen reagierte. Wichtig ist, dass man immer den Bezug schafft zu ihrem Leben. Aus der Forschung ist bekannt, dass Kinder einfacher lernen, wenn sie ein Thema mit ihrer eigenen Umwelt verknüpfen.

Nur wenige Wochen nach Studienbeginn standen Sie bereits das erste Mal vor einer Klasse. Wie war das für Sie?

Ich war sehr nervös. Meine erste Lektion hielt ich vor Sechstklässlern, in Landquart. Das Unterrichten war für mich etwas komplett Neues, doch in diesem Moment merkte ich, dass es genau das war, was ich machen wollte. Das ist das Schöne am Studiengang an der PHGR: Von Beginn weg sind Theorie und Praxis verbunden. Man lernt etwas und wendet sein neues Wissen eins zu eins an.

Was hat Sie bei der Arbeit mit Kindern am meisten überrascht?

Ihre Frische. Oft stelle ich abends auch fest, dass der Tag ganz anders verlaufen ist, als ich es eigentlich geplant hatte. Aus dem Unterricht ergeben sich oft ganz neue Wendungen, aber auch neue Anliegen der Kinder. Dafür sollte man als Lehrperson offen sein.

Worauf waren Sie nicht vorbereitet?

All die vielen lustigen Situationen. Und: Die Kinder sind unglaublich direkt. Plötzlich fragen sie einem etwas und man ist ganz perplex. Und dann gibt es Momente, in denen ich denke, wie erwachsen sie in ihrem Alter doch sind und ich frage mich: War ich als Kind auch so?

War Ihre Sportkarriere schon Thema im Klassenzimmer?

Ich habe schon Fragestunden organisiert, ihnen die Medaille gezeigt. Im Zentrum stand aber nie nur Olympia. Ich möchte vielmehr meine Welt mit der ihrigen verknüpfen. Um das geht es doch letztlich: Dass die Kinder aus der Stunde etwas für ihr Leben mitnehmen. Ob Sport oder Musik: Wichtig ist einzig, dass man etwas macht und das mit Hingabe.

Im Sommer 2021 schliessen Sie das Studium ab. Wie geht es weiter?

Ich übernehme meine erste eigene Klasse. Es werden Erstklässler sein, darauf freue ich mich sehr.

 

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